„Wenn du alle Regeln befolgst, verpasst du den ganzen Spaß.“
Katherine Hepburn


Ich folge diesem Rat nicht nur in meiner Musikkarriere, sondern auch beim Schreiben, bei der Wahl meines Urlaubsortes und bei der Frage, was ich mit meinem Leben anfangen möchte. Heute singe ich die Stücke, die mir am Herzen liegen, arbeite mit Komponist:innen und Veranstalter:innen, mit denen ich mich wirklich verbunden fühle, und – vielleicht am wichtigsten – singe so, wie ich es will. Aber es hat lange gedauert, bis ich hier angekommen bin – durch Jahre voller Technik-Tipps, Repertoire-Vorschläge und Absagen hindurch, bis ich meine eigene Stimme gefunden habe und weiß, wer Lisa Newill-Smith, Sopranistin und Autorin, wirklich ist.
Ich kann mich an keinen Moment in meinem Leben ohne Musik erinnern. Ich habe Notenlesen ungefähr zur selben Zeit gelernt wie Lesen, mit zwei Jahren angefangen zu tanzen und mit fünf Klavierunterricht bekommen. In der Schulzeit kamen dann Geige und Bratsche dazu – Schulorchester, Jugendsinfonieorchester, Chöre und sogar ein kurzer Abstecher zur E-Geige in der Show-Choir-Band. Sängerin werden wollte ich damals aber nicht. Mein großer Traum war Politik.
Also habe ich an der University of Virginia Außenpolitik studiert – mit Musik als zweitem Hauptfach, damit ich Vorrang bei den Übungsräumen hatte. Und dann fing ich an zu singen. Ich schloss mich den University Singers, den Chamber Singers und einer kleinen, studentisch geführten Operngruppe an: Opera Viva. Opera Viva war mein Einstieg in die verrückte Welt von Oper und Theater. Nach meiner ersten Produktion (Ensemble in Pirates of Penzance) wollte ich sofort mehr.
Ich breche ständig Regeln. Sobald man auf einer Bühne steht – egal ob bei einem Vorsingen, einer Vorstellung oder einer Probe – prasseln eine Million Erwartungen auf einen ein. Und beim Schreiben ist es genauso: Wenn ich an meinem Sci-Fi/Fantasyroman arbeite, Webtexte schreibe oder an einem Blogpost sitze, kämpfe ich immer gegen die Erwartungen an, die Leser:innen und die Branche an mich haben.
Ich schreibe seltsame Kurzgeschichten, liebe die Farbe Lila (und bin fest entschlossen, unsere ganze Wohnung zu „verlilaisieren“, sehr zum Leidwesen meines Mannes), verbringe Stunden damit, Faerûn in Baldur’s Gate III zu erkunden, und schreibe langsam an einer epischen High-Fantasy-, Sci-Fi-, queer-normativen Serie.
Am Anfang meiner Karriere haben mich diese Erwartungen beherrscht. Heute nutze ich sie zu meinem Vorteil – indem ich sie unterlaufe, ignoriere oder einfach komplett über Bord werfe. Und wenn ich die Erwartungen auf der Bühne oder auf dem Papier wirklich für mich nutzen kann – dann macht es richtig Spaß.
Als ich für ein Auslandssemester nach Peru ging, um mehr über die politische Geschichte des Landes zu lernen und endlich mein Spanisch auf Vordermann zu bringen, merkte ich, dass mir das Singen viel mehr fehlte, als ich gedacht hatte. Nachdem ich ganz spontan einem Chor in Lima beigetreten war und in der Nationalkathedrale gesungen hatte, dachte ich: Okay… wenn ich so sehr singen muss, dann sollte ich es vielleicht einfach wagen.
Also habe ich es getan. Nach meinem Abschluss zog ich nach England, um meinen Master und meine postgradualen Diplome am Royal Northern College of Music zu machen. In Manchester habe ich viel Gilbert und Sullivan gesungen, gelernt, Bier zu mögen, und meinen heutigen Ehemann kennengelernt, den Pianisten, Komponisten und Dirigenten David Wishart, als wir gemeinsam an einer Hänsel und Gretel-Produktion arbeiteten.
Als wir mit dem Studium fertig waren, mussten wir uns für einen Kontinent entscheiden. Und weil Deutschland als wahres Paradies für klassische Musik gilt, fiel die Wahl auf Berlin. 2014 sind wir dann voller Vorfreude und bereit für Vorsingen hergezogen. In den Jahren danach habe ich Deutsch gelernt, mich durch das Fachsystem gewühlt und mit großartigen Menschen gearbeitet.
Ich habe aber auch die Realität des Spruchs kennengelernt: „Wenn du dir vorstellen kannst, irgendetwas anderes im Leben zu machen als Musik – dann mach das.“ Vorsingen sind BRUTAL. Natürlich gab es auch Zusagen, aber die ständigen Absagen nagen an einem. Nach jedem Vorsingen, nach jedem widersprüchlichen Feedback, habe ich alles hinterfragt – und mich manchmal dabei ertappt, wie ich dachte:
Aber ich habe mir immer wieder die gleiche Frage gestellt: Kann ich mir wirklich vorstellen, etwas anderes zu machen? Und die Antwort war jedes Mal nein – ich muss Musik machen und kreativ sein.
2020 bekam mein Mann dann den Anruf, von dem alle Musiker:innen nach einem Vorsingen träumen: ein Feststellevertrag an einem Opernhaus. Wir zogen also hoch in den Norden nach Stralsund. Und drei Wochen später ging es in den ersten COVID-Lockdown. Wie viele andere Musiker:innen dachte ich anfangs, dass das Ganze schnell vorbei sein würde, und wir hielten unsere Stimmung mit Livestream-Konzerten hoch, die ich auf meinem neuen Blog Women Who Composed teilte. Ich stürzte mich komplett in die Recherche über historische Komponistinnen und machte mehrere Online-Konzerte.
Als die Pandemie sich dann immer weiter zog, wandte ich mich dem Schreiben zu. Nachdem ich die NaNoWriMo-Challenge geschafft hatte (50.000 Wörter in einem Monat!), merkte ich, dass mir Schreiben wirklich Spaß macht – und dass ich wohl gar nicht so schlecht darin bin. Also begann ich als Content Writer zu arbeiten: zuerst Blogs für PrecisionContent, dann Scriptwriting für Gaiali und schließlich regelmäßig im Reisebereich als Content Editor bei GetYourGuide.
Parallel dazu arbeitete ich weiter an meinem Blog, und je mehr ich über Komponistinnen forschte, desto häufiger lernte ich Stücke von lebenden Komponistinnen und Komponisten – und entdeckte, dass ich es liebe, seltsame Geräusche mit meinem Mund zu machen. Und mit meinen Füßen. Und gelegentlich mit einer Ocean Drum, einer Ukulele oder einer Triangel.



Von da an ging es mit meiner Reise in die Neue Musik nur noch bergab – oder bergauf, je nachdem, wen man fragt. Ich nahm am John-Cage-Vocal-Workshop mit Sarah Maria Sun teil, sang mit PHØNIX16 im Louvre in Paris, beim ATONAL Festival Berlin und bei MärzMusik, und sprang in einen experimentellen, szenischen Liederabend am Theater Vorpommern hinein.
Ich habe mehrere Uraufführungen gesungen, darunter Nacht von Nik Bohnenberger am Staatstheater Kassel, Capriccio von Rylan Gleave, Raidne von Vanessa Chartrand (mit einem Libretto von mir), sowie Books 1, 3, 4, 5, voice, books and FIRE (Ullmann, 2023).
Vor Kurzem habe ich außerdem ein neues zeitgenössisches Vokalduo gegründet – SAGA Duo – zusammen mit der Sopranistin Olga Siemieńczuk, um die vielen Farben der Stimme zu erforschen. Und ich trete regelmäßig mit meinem Mann als Klavier-Gesangs-Duo auf, mit einem besonderen Fokus auf Werken von Komponistinnen und gender-non-konformen Komponierenden. Zusätzlich habe ich ein umfangreiches Solo-Stimmprogramm, das ich ständig erweitere und weiterentwickle, je mehr neue Komponist:innen ich kennenlerne.
„Wenn du alle Regeln befolgst, verpasst du den ganzen Spaß.“
Trotz all dem liebe ich es immer noch, lange, schöne Linien zu singen und meine Opernstimme weiterzuentwickeln. Durch meine Erfahrung mit Extended Techniques konnte ich den ganzen Umfang meiner Stimme finden – und singe heute hauptsächlich dramatisches Koloraturrepertoire.
Auch wenn Lulu mein persönlicher Favorit ist, arbeite ich gerade auch an Violetta, Konstanze und Lucia.
Capriccio, Rylan Gleave (world premiere)
Ich, beim tiefgründigen Gespräch mit einer Triangel
SAGA Duo photo from www.elzaloginova.com


